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"Das bin ich"

Jantine Nierop im Gespräch mit Anique

Anique wurde 1960 geboren mit den körperlichen Merkmalen eines Mannes und lebt seit zehn Jahren als Frau. Von Beruf ist sie Landwirtin. Jantine Nierop sprach mit ihr über ihre persönliche Geschichte und vor allem über die Rolle der Kirchen bei Transsexualität.

"Meine Geschichte kann man niemandem empfehlen. Heutzutage hört man manchmal, das wäre alles eine wahnsinnige Bereicherung. Na, so toll ist es nicht. Andererseits hat es mir schon die Möglichkeit gegeben, Dinge zu sehen und zu erleben, die für andere verschlossen bleiben.

Charismatische Bewegungen halten Transsexualität meistens für Quatsch, für eine Krankheit, die man durch einen starken Willen und festen Glauben überwinden kann. 'Gott macht keine Fehler, er hat Mann und Frau geschaffen und nichts anders. Das hat dir der Teufel eingegeben, wehre dich', bekam ich dort gesagt.

Aber die geschlechtliche Identität liegt fest bei Menschen. Die kann man nicht ändern. Kennst du die Geschichte vom Jungen, der von seinen Eltern als Mädchen erzogen wurde? Als Baby hatte er bei einer medizinisch begründeten Beschneidung den Penis verloren. Später wurde er depressiv und brachte sich um.

Damals, als ich mich zum ersten Mal informierte, sagte man mir: Niemand ist zu 100% Mann, niemand zu 100% Frau. Es ist ein breites Spektrum. So sehe ich das auch. Wenn du allerdings mehr weibliche Anteile hast, bringt es dir Frieden und Ruhe, als Frau  durchs Leben zu gehen. Dabei sollte man nicht nur aufs Äußere schauen, das machen ja die Ärzte. Den inneren Frieden kann kein Arzt dir schenken. Den musst du selber finden. Wie ich das meine? Die totale Überzeugung: das bin ich. Das Äußere ist wichtig im täglichen Leben, aber nicht für den eigenen Frieden.

Gleich am Anfang sagte mir eine Frau: 'Du bist ein gläubiger Christ... halte deinen Glauben fest. Denn die, die das schaffen, haben es leichter.' Diese Frau hatte viel Erfahrung mit der Begleitung von Transsexuellen - und sie hatte Recht. Der Glauben gibt mir Sicherheit. Jeden Moment am Tag habe ich sozusagen einen Ort, wohin ich gehen kann.

Ja, es gibt Bibelstellen, die problematisch sind, weil sie bezogen auf Transsexualität verkehrt gelesen werden. In Deuteronomium zum Beispiel: 'Ein Mann soll keine Frauenkleider tragen' (22,5). Aber ich habe doch gesagt: Ich bin gar kein Mann.

Viele Menschen mit meinem Hintergrund sind weg von der Kirche. Die Kirche hat bei ihnen einen schlechten Ruf. Ja, auch Kirchenmenschen können sich schlecht benehmen. Manche drehen mir den Rücken zu. Die Frage ist aber: Was ist die Kirche? Man darf die Kirche nicht als eine Art Arbeitsgruppe sehen. Die Kirche ist ein Ort, an dem man den Glauben bekennt. Die Beziehung zu Jesus und das Evangelium sollen im Zentrum stehen. Ich selbst muss mich zu Jesus verhalten. Damit haben die anderen nichts zu tun. Wenn die Beziehung zu Jesus im Vordergrund steht, bist du stark genug, mit den anderen Menschen umzugehen oder zumindest nicht allzu lange unter ihrer Unfreundlichkeit zu leiden. Jesus hat keine Probleme mit mir. Davon bin ich überzeugt.

Was kann die Kirche tun für Betroffene? Pfarrer und Pfarrerinnen sollten sie auf positive Weise begleiten. Aber ihre wichtigste Aufgabe ist: den Glauben stärken. Sonst bleibt die Kirche Menschenwerk. Es ist diese Basis des Glaubens, die uns als Gemeinschaft zusammenhält - auch wenn wir nicht alle einer Meinung sind oder sogar Konflikte haben. Differenzen wird es immer geben. Die Frage ist, ob wir dem Heiligen Geist Zugang geben, oder ob wir alles selbst lösen wollen.

Mein Selbstbewusstsein ist in den letzten Jahren sehr gewachsen. Ich habe den inneren Frieden gefunden. Ich darf auch da sein - so fühle ich es. Auch geschäftlich traue ich mir viel mehr zu als früher. Ich bekomme mehr Respekt von den anderen Landwirten. Ich weiß nicht, was sie denken. Wir reden nicht darüber. Ich habe gelernt: Wenn jemand nicht fragt, sollst du die Antwort nicht geben. Man darf das Thema Menschen nicht aufzwingen. Viele sind noch nicht so weit. Aber eins habe ich gemerkt: Ich brauche keine schweren Säcke mehr zu schleppen."


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Publikationsdatum dieser Seite: Dienstag, 29. Mai 2018 16:33