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Geschlechtsvielfalt

In unserer alltäglichen Wahrnehmung sind zwei Geschlechter verankert. Demnach kann ein Mensch entweder Mann oder Frau sein. Dabei wird Geschlecht als eine feststehende und klar begrenzte Kategorie verstanden, die durch körperliche Merkmale - wie die Genitalien - eindeutig festzulegen ist.

Nun zeigt aber die Wissenschaft, dass Geschlecht eine vielschichtigere und durchlässigere Kategorie ist, als es der üblichen Wahrnehmung entspricht. So können die biologischen Geschlechtsmerkmale auf unterschiedliche Weise zusammentreffen. Bei intersexuellen Menschen wird dies besonders deutlich. Biologisch betrachtet sind sie weder eindeutig weiblich, noch männlich.

In der klassischen Schulbuchliteratur begegnet zwar die Festlegung auf ein Geschlecht anhand der Geschlechtschromosomen, wonach Frauen zwei X-Chromosomen haben und Männer ein X und ein Y-Chromosom. Diese Festlegung ist jedoch stark verkürzt. So gibt es Menschen, die zwei unterschiedliche Geschlechtschromosomen haben: ein X-Chromosom und ein Y-Chromosom. In dem Bewusstsein vieler Menschen wäre dieser Mensch also ein Mann. Entgegen dem Alltagsbewusstsein ist Geschlecht aber nicht allein vom vorhandenen Chromosomensatz abhängig, sondern entsteht durch verschiedene Faktoren. So dass ein Mensch zwar das Y-Chromosom tragen kann, aber jene körperlichen Merkmale hat, die einer Frau zugeschrieben werden.

Zum chromosomalen Geschlecht treten nämlich noch das hormonelle, das gonodale und das morphologische Geschlecht. Aufgrund dieser Faktoren wird bei Geschlecht auch von einem Kontinuum gesprochen, bei dem variierende geschlechtliche Merkmale auftreten können statt der gewohnten biologischen Eindeutigkeit.

Das  hormonelle Geschlecht wird durch das Verhältnis von 'männlichen' (Testosteron) zu weiblichen (Östrogen und Progesteron) Geschlechtshormonen bestimmt.  Das gonodale Geschlecht wird durch die Keimdrüse bestimmt, also durch  das Vorhandensein von Eierstöcken oder Hoden, die dann das hormonelle Geschlecht mitbestimmen. Allerdings können hier auch Enzyme oder Hormone eine direkte Ableitung verhindern. Das morphologische Geschlecht bezeichnet demgegenüber die Herausbildung der äußeren Geschlechtsmerkmale. Die Klassifikation in all diesen Kategorien kann auseinanderfallen. Von daher gibt es bis heute auch vom Gesetzgeber keine eindeutige Definition davon, was eigentlich "männlich" und was "weiblich" ist.   

Zu diesen biologischen Überlegungen kommt dann noch das Selbstempfinden des Menschen hinzu. Dies ist bei transidenten/transsexuellen Menschen ein kategoriensprengendes Merkmal. Diese  Menschen empfinden es so, dass der Körper und die eigene Wahrnehmung des Geschlechts nicht übereinstimmen. Seit 1980 hat dies auch der Gesetzgeber anerkannt. Auch Psychiatrie und Sexualwissenschaften sprechen mittlerweile nicht (mehr) von Erkrankungen. Transidente Menschen fordern,  dass ihre geschlechtliche Selbstdefinition geachtet wird und dass sie nicht nach dem -evtl. abweichenden- Äußeren beurteilt werden. Gleichzeitig begegnen uns Menschen, die es ablehnen, überhaupt einer Kategorie zuzugehören.

Diese Varianten lassen sich dementsprechend nicht zählen, sondern belegen eine prinzipielle Offenheit der Menschen in Bezug auf geschlechtliche Merkmale. Somit lässt sich die Frage nach der Anzahl der Geschlechter am ehesten damit beantworten, nicht von "Geschlecht" als fester Kategorie zu sprechen und stattdessen von einer unabgeschlossenen Vielfalt.

Ellen Radtke


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Publikationsdatum dieser Seite: Mittwoch, 21. November 2018 17:46